«Storytelling»: Ich kann’s nicht mehr hören!

Das sagte mir letzthin eine Frau in mein rechtes Ohr. Dort halte ich jeweils mein Handy hin, weil ich Linkshänderin bin.

Denn ich möchte ja meine linke Hand frei halten, um Notizen machen zu können. In dem Moment schrieb ich nichts auf. Sondern bestätigte sie voll und ganz.

Jawohl, sagte ich, auch ich kann es manchmal nicht mehr hören. Obwohl ich mich Storycoach nenne, dachte ich dann etwas weniger selbstbewusst.

Ein Buzzword

Storytelling ist zu einem Buzzword in der Marketing- und Kommunikationswelt geworden. Jeder, der mit dem Trend mitreiten will, nimmt im Moment diesen Begriff aus seinem Köcher wie einen Pfeil und reiht an seine Girlande der Kompetenzen «Storytelling». «Visual Storytelling».

Aber in ihrem oder seinen Post ist gar nichts von Storytelling spürbar. Im Geschäftsbericht: nop. Auf der Website: Werbung in eigener Sache oder vornehme, aber gähnende Nüchternheit. Von Relevanz keine Spur. In der Powerpoint-Präsentation, wo es um Storytelling geht: Kein Storytelling. Im Fachbuch, das sich dieses Instrument für die Geschäftswelt auf die Fahne geschrieben hat: Kein Storytelling. Sondern es wird mit Zahlen, Daten und Fakten versucht zu überzeugen statt mit machtvollen Geschichten.

Für Journalisten und Filmemacher dagegen ist Storytelling schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie gar nicht mehr davon reden.

Bei mir, ganz ehrlich, ist Storytelling auch noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen.

Ich ertappe mich dabei, wenn ich meine Posts auf LinkedIN und Instagram mit Fakten-Anreihung beginne. Einfach irgendwas behaupte. Ich möchte ja schliesslich hochwertigen Content liefern und inspirieren, auch für diesen Blog oder Newsletter. Also sollte ich, wenn ich über Storytelling quatsche, das auch in Form von Storytelling machen. Nicht gleich loslegen, was ich etwa zum Thema «Kraft der Metapher» weiss.

Sondern von Anfang an in einen Dialog gehen und zum Beispiel mit einer aus meiner Sicht relevanten Frage an meine Leserinnen und Leser beginnen. Oder mit einer persönlichen Geschichte.

Ich möchte abgeholt werden

Anders geht es nicht. Ausser, man kennt mich bereits. Da wissen Sie ungefähr, was Sie erwarten können. Sie sind schon ein wenig «offen» für meinen Inhalt. Doch sonst möchte ich selbst in einer Welt, in der wir tagtäglich mit viel Informations- und Werbemüll überflutet werden, von der ersten Sekunde an «abgeholt» werden. Und zwar nicht auf akademisch. Sondern in meiner ganz normalen Sprache.

Kurs-Ausschreibung einer Hochschule in einem sozialen Medium: Die modulare Weiterbildung bereitet Führungskräfte Schritt für Schritt auf einer breiten und branchenübergreifenden Basis auf eine Führungsrolle in ihren Betrieben vor. Im Zentrum steht dabei die Vermittlung eines Führungsverständnisses, welches Führung als Beziehungsgestaltung zwischen verschiedenen Akteuren in Organisationen versteht.

Wenn wir wollen, dass wir Aufmerksamkeit erhalten, überzeugend sind und sich unsere Zielgruppen mit uns verbunden fühlen…. Stopp!

Nochmals von vorne: Wenn wir wollen, dass sich 100’000 Augen auf uns richten, wenn wir etwas zu sagen haben und ein Funke rüberspringt, damit diese Augen leuchten, dann sollten wir Story-Sprache sprechen.

Story-Sprache heisst: möglichst viele Bilder oder Metaphern brauchen statt Begriffe. Versuchen, in Handlungsabläufen argumentieren statt Fakten aneinanderreihen. Sich auf den ganzen Menschen einlassen mit seinen vermuteten Werten und Gefühlen statt einen rational-funktional gesteuerten Fachmann vor sich sehen, der durch Wände geht.

Welcher Satz berührt Sie mehr:

«Ich handle mit auserlesenen österreichischen Weinen.»

oder:

«Ich glaube daran, dass wir das Leben gemeinsam feiern sollten. Dazu biete ich grossartige österreichische Weine an.»

Der Weinhändler, der diese Geschichte erzählt, hat bei mir im Storycoaching Gastfreundschaft als seinen Brennwert angegeben. Er ist leidenschaftlicher Koch und liebt es, den Wein beim Einschenken gluckern zu hören. Doch das Problem: Zu «Gastfreundschaft» entsteht noch kein Bild. Es ist eine leere Worthülse. Deshalb haben wir das Bild vom «Leben gemeinsam feiern» kreiert. Darum geht es doch eigentlich.

Gutes Storytelling ist ein klingendes schwingendes Zusammenspiel von Bildern in den Kopf zaubern und die Fakten (den österreichischen Spitzenwein) dazu als Fundament liefern. Sonst bleiben wir in den Wolken hängen und werden unter Umständen als Träumer oder Schaumschläger abgestempelt.

Das Zauberwort WEIL

Wenn jetzt bei Ihnen das Kopfkino von leuchtenden Augen losgegangen ist, muss ich nun also zusammenfassend die Fakten nachschieben. Mit dem Zauberwort WEIL beginnen, weil Menschen gerne nach dem Warum fragen. So kann ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hoffentlich, von Storytelling überzeugen (falls Sie wie meine Gesprächspartnerin am Telefon skeptisch sind).

Storytelling führt zu leuchtenden Augen, WEIL…

  • …unser Gehirn mit reinen Fakten nichts anfangen kann. Es muss sie mit Bildern und Sinnen wie riechen oder schmecken anreichern, damit die Fakten hängenbleiben. Machen wir die Vorarbeit für unser Publikum.
  • …wir die Menschen mit auf eine Reise nehmen, auf der sie eine Veränderung zum Besseren erfahren können. Veränderung geschieht dort, wo wir von einem IST zum SOLL, von einem Vorher zum Nachher kommen und das möglichst bildhaft ausmalen.
  • …wir die Menschen zum Teil einer gemeinsamen Geschichte machen, statt sie «nur» zu informieren oder zu «predigen». Informieren ist immer einseitig.

Das alles hätte ich der Frau am Handy gerne aus meinem übervollen Herzen, meiner Begeisterung für das magische und machtvolle Kommunikationsinstrument erzählt. In ihr linkes oder rechtes Ohr.

Doch manchmal ist es besser zu schweigen und dann nachher einen Blog oder Inspirations-Letter daraus zu schreiben. Möglichst in Form von Storytelling.

 

Ingrid Schmid

7. Mai 2020

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